2014
„Mémoire et Promesse“, SITUATION ROOM, Sowjetischer Pavillon auf der Alten Messe Leipzig
Die Ausstellung erinnert an ein Glücksversprechen und konstituiert eine Vision, die futuristisch und antiquiert zugleich ist. Skulptural changiert die Arbeit zwischen intergalaktischer modulare Landungsbasis und sowjetischen Arbeitslager.
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„Mémoire et Promesse"
Die Installation assoziiert Erinnerungen an ein gesellschaftliches Glücksversprechen. Im Osten war dies die Propagierung einer neuen klassenlosen Gesellschaft und im Westen der ungetrübte Glaube an die künftigen Beglückungen durch den technischen Fortschritt.
Diese nichteingelösten Utopien versucht die Installation zu rekonstruieren. Das skulpturale Bild ist somit futuristisch und antiquiert zugleich. Raumweitend als Modell einer möglichen Landebasis bzw. Wohn- und Arbeitsstation auf einem anderen Planeten, mit Funktürmen für die Kommunikation zur Erde und modularen Andockstationen. Auf der anderen Seite wird das Bild von Arbeitslagern mit Überwachungstürmen und Propagandamaschinen assoziiert.
Der vermeintliche Gegensatz diese beider Bilder wird in der Installation aufgehoben. Tatsächlich ist die Vision von einer grenzenlosen Welt, in der wir in lieblosen Raumschiffschachteln von Sternsystem zu Sternsystem, von Planet zu Planet jetten, genauso unwirtlich und dem „Mensch-Sein" fremd wie das geerdete Ausharren und sich selbst verleugnende Einrichten in den realen gesellschaftlichen Bedingungen auf der Erde.
Die Installation bleibt trotz ihrer Größe und architektonisch kontrapunktischen Setzung zum starken Ambiente des sowjetischen Pavillons bewusst fragmentarisch, vielleicht sogar rudimentär. Sie gibt damit Raum für die Imaginationen des Betrachters, der diesen Spuren und plötzlich auftönenden Klängen und Filmbildern - einer dem Objekt gleichsam eingeschriebenen Patina - hinterherlauschen kann.
Es bleibt somit Hoffnung, welche sich im Moment allerdings einzig an die Erinnerung eines verhießenen Glücks klammert.
Till Exit

2015, „Nach der Zukunft“ (deutsch), Barbara Steiner


Nach der Zukunft

Am 12. Dezember 2014 führten Till Exit und Barbara Steiner ein Gespräch über die Rauminstallation Mémoire et Promesse (Erinnerung und Verheißung), die er im ehemaligen Sowjetischen Pavillon auf der Alten Messe Leipzig zeigte. Seine Arbeit war eine von insgesamt sechs realisierten Installationen im Rahmen der Ausstellungserie Situation Room (10. Juli bis 10. Oktober 2014). Der folgende Text korrespondiert mit Auszügen aus dem Interview mit Till Exit.

Das heute noch als Sowjetischer Pavillon bezeichnete Gebäude wurde 1923/24 als Messehalle für Werkzeugmaschinen errichtet und bis zum Zweiten Weltkrieg als Sportpalast genutzt. Erst danach baute man es zum Sowjetischen Pavillon um. In diesem Zusammenhang wurde es außen mit hellen Kacheln verkleidet, und eine markante goldene Spitze mit rotem Sowjetstern auf das Dach gesetzt. Zurzeit befindet sich das in weiten Teilen entkernte Gebäude gleichsam in einem Schwebezustand zwischen den einstigen Nutzungen und seiner geplanten künftigen Verwendung als städtisches Archiv. Es verkörpert damit den perfekten Hintergrund für Mémoire et Promesse, eine Arbeit, die bereits im Titel auf Vergangenheit und Zukunft gleichermaßen verweist.

In das bereits weitgehend entkernte Vestibül dieses historisch-vielschichtigen Gebäudes platzierte Till Exit seine begehbare Rauminstallation, im Prinzip eine Aneinanderreihung modulartiger Elemente. Die nach außen hin abweisende Holzkonstruktion wirkte wie eine Raumstation, die sich nur temporär an den Sowjetischen Pavillons „angedockt" hatte. Schwellen ließen innehalten, Öffnungen mit gerundeten Ecken führten von einem Element in das andere und erinnerten an das Innere von Raumstationen wie man sie vor allem aus Science-Fiction-Filmen der 1950er und 1960er Jahre kennt. Referenzen an diese Zeit tauchten auch über vereinzelt gesetzte Möbelstücke (Wohnzimmerstühle, -tische, -leuchten), Lautsprecher, Wandverkleidungen und Bodenbelege auf. Diese Elemente sowie ein Film, der Szenen aus verschiedenen Science-Fiction-Filmen zeigte, riefen eine Vergangenheit auf, die sowohl im Osten als auch im Westen stark der Zukunft zugewandt war.

Öffnungen nach oben und auch an den Seiten machten Exits Rauminstallation durchlässig. Aus dem Inneren konnte man zwar den umgebenden Raum schemenhaft und punktuell beleuchtet wahrnehmen, von Außen konnte man allerdings so gut wie keine Rückschlüsse auf das Innere des Gehäuses ziehen. Zwei eiserne Türme, an denen auf 360 Grad schwenkbaren Armen Scheinwerfer montiert waren, flankierten die Holzkonstruktion. Deren Lichtkegel wanderten durch das Vestibül, an der Decke blitzte dann und wann das Emblem der Sowjetunion auf, mitunter drang das Licht durch semi-transparente Abdeckungen in die von Till Exit sparsam ausgestatteten Räume und Korridore und waren Schatten an Wänden und Fußböden zu sehen. Unterstützt wurde das post-apokalyptisch anmutende Szenario, abstrakt und konkret zugleich, durch einen stark zurückgenommenen, mitunter kaum hörbaren Soundscape. Es ließ an eher düstere Science-Fiction – an Filme wie etwa Stalker von Andrej Tarkowski oder Blade Runner von Ridley Scott denken, in denen eine bedrohliche Zukunft beschrieben wird. Diese dunkle Seite setzte Exit in Kontrast zu ungebrochenen, rosig gemalten Zukunftsbeschreibungen, die fragmentiert im Inneren der Rauminstallation auftauchten. Auf diese Weise erzeugte der Künstler eine Ambivalenz, die sich auch in verschiedenen utopischen Gesellschaftsvorstellungen selbst finden.

Arno Waschkuhn schreibt in seinem Buch Politische Utopien, dass Utopien „konstruktivistische Leistungen" sind, „die als Konzepte und Ordnungsentwürfe eine Welt imaginieren, die anders ist als die pure Gegenwart." Allgemein gesprochen, haben Utopien weder eine Bindung an den Sozialismus noch an totalitäre Systeme, auch sind sie selbst nicht zwangsläufig totalitärer Natur. A) Was Utopien jedoch auszeichnet: sie sind vielgestaltig und in sich höchst ambivalent, sie können „das Ende jeglicher Herrschaft und Gewalt oder aber das Ende von Freiheit" antizipieren. B) Und in genau dieser Spanne von überbordenden Zukunftsversprechen hin zu beklemmenden Nebeneffekten ist die Rauminstallation von Till Exit angesiedelt. Über Filmsequenzen und Mobiliar – quasi als Vorwegnahme einer versprochenen Zukunft – leuchtete die Utopie einer besseren Gesellschaft für alle auf. Doch die Installation mutete nicht nur wie eine ferne Raumstation an, rief nicht nur Science-Fiction und optimistische Zukunftsentwürfe auf, sie erinnerte auch an Gefangenen- bzw. Arbeitslager. Die beiden Türme mit den daran befestigten, beständig durch den Raum kreisenden Scheinwerfern, zitierten nicht nur technische Fortschrittsfantasien, wie man sie aus Entwürfen und Modellen etwa der Sowjetischen Avantgarde kennt, sondern auch Kontroll- und Propagandatürme. Till Exit hat mit seiner Installation einen visuell räumlichen Ausdruck gefunden die Ambivalenz von Utopien abzubilden: Einerseits sind diese Motor für Vorstellungen jenseits eines gesellschaftlichen Status Quo, und andererseits können sie schnell in einen gesellschaftlichen Totalitätsanspruch abgleiten, der jedes Individuum und jedes Detail des menschlichen Lebens erfassen möchte und wenig Spielraum für die Entfaltung abweichender Vorstellungen lässt.

Das Versprechen einer besseren, gerechteren Zukunft für alle ließ sich nur so lange aufrecht erhalten als man an dieses Versprechen glauben konnte. Im Verlaufe des 20. Jahrhunderts wuchs der Zweifel an universellen menschheitsbeglückenden Konzepten – und als solche wurden Utopien zunehmend verstanden – und utopische Gesellschaftsmodelle verloren entsprechend ihre Attraktivität. Sie büßten ihre Legitimationsmacht ein, wurden als autoritär, bevormundend, und mitunter auch menschenverachtend wahrgenommen. Zu den Umbrüchen von 1989 schreibt der Historiker Joachim Fest diese Wahrnehmung gewissermaßen auf den Punkt bringend: „Die Absage an große Ziele und geschichtliche Aufgaben, an alles Ideenhaltige überhaupt, war einer der auffälligsten Begleitumstände dieser revolutionären Prozesse. Die kühnen Menschheitsstrategien, die den Massen wieder und wieder von denen zudiktiert worden waren, die sich als ihre befugten Anwälte sahen, wurden einfach ignoriert." C) Fest setzt Utopie mit Totalitarismus gleich und lässt – dieser Logik folgend – das utopische Zeitalter mit dem Zusammenbruch des realen Sozialismus enden. Vor dem Hintergrund des Endes eines utopischen Denkens scheint die Wahl des ehemaligen Sowjetischen Pavillons als Ausstellungsort einen post-utopischen Raum nahezulegen. Doch anders als Feist hebelt Exit utopisches Denken nicht grundsätzlich aus. Es ist anwesend und abwesend, stimulierend und bedrohlich gleichermaßen. Exits Interesse an Utopien erstreckt sich auf ihre Imaginationskraft sich etwas jenseits des gesellschaftlichen Status Quo vorstellen zu können und nicht auf die Realisierung utopischer Vorstellungen. Dies drückt sich nicht zuletzt in der Modellhaftigkeit der Rauminstallation selbst aus. Die Rauminstallation ist mit XX Metern zwar begehbar, die geringe Höhe unterstützt aber auch – neben Material (Sperrholzplatten) und Konstruktionsweise – den Eindruck sich in einem Modell zu befinden. Der Künstler skizziert tatsächlich ein „Danach", ein „Nach-der-Zukunft", aber auch ein „Nach-dem-Ende-gesellschaftlicher-Utopien." So gesehen bezieht sich Exits Interesse an einem „Ort, der eigentlich schon verlassen, ausgestorben ist" auch auf einen post-utopischen Raum. Die Frage, „ob da noch ein Stück Leben ist, ob jemand, etwas beatmet wird, röchelt", kann letztendlich auf die Utopie selbst übertragen werden. Mit anderen Worten: diese ist noch da – als Versprechen und als Erinnerung an eine Zeit, in der die Vorstellungskraft unbegrenzt schien.

Barbara Steiner

A) Arno Waschkuhn, „Vorwort", in: Politische Utopien, München, Wien 2003, o.S.; „Was sind politische Utopien?", Waschkuhn, Politische Utopien, ebd., S. 5
B) Waschkuhn fächert verschiedene Utopien auf: jene der „guten Zukunft" gewidmeten (Eutopia), der Schreckens- und Furchtbilder, der positiven („weißen") oder negativen („schwarzen") Utopien (Dystopien) und der Anti-Utopien. Sie sind „ganzheitlich" entworfen, aber auch durchaus „dynamisierbar, zum Guten (Freiheit und Gerechtigkeit) und zum Schlechten (totalitäre Zwangsbeglückung)". Arno Waschkuhn, a.a.O., S. 5
C) Joachim Fest, Der zerstörte Traum. Vom Ende des utopischen Zeitalters, Berlin 1991, S. 9